Zwei Dinge, die mir direkt an Gedenken an die Grafikergröße Otl Aicher einfallen, ist das signifikante Zeichensystem für die Olympischen Spiele 1972 und die Schrift Rotis. Etwas weniger bekannt ist seine Heirat mit der Schriftstellerin Inge Aicher-Scholl. Sie schrieb ihren Geschwistern zur Ehre über die Weiße Rose und rief die Geschwister-Scholl-Stifung 1950 ins Leben.
Olympiade 1972
Die Zeit war reif für etwas Neues. Eine klare visuelle Abgrenzung zu den von den Nationalsozialisten instrumentalisierten Spielen von 1936. Herausgekommen ist ein Meilenstein der visuellen Kommunikation.
Es entstand ein farbenfrohes und modernes Erscheinungsbild, das multilingual wie auch multikulturell verständlich war und maßgeblich zur offenen und demokratischen Wahrnehmung Deutschland in der Welt beigetragen hat.
Einige Plakate werden noch heute nachgedruckt und können bei 1972municholympics bestellt werden.
Wer Zeit hat, kann sich die Dokumentation des Bayrischen Rundfunks auf YouTube ansehen: Olympische Spiele München 1972 Otl Aicher und das Design. Kleine Suchaufgabe: Wieviel Zigaretten werden in der Doku geraucht und wieviel Bierflaschen könnt ihr zählen?
Mehr als 700 Piktogramme gehören zu dem entstandenen Zeichensystem der Olympiade 1972. Die damals entstanden Piktogramme gehören zur Gegenwartskultur und sind noch heute im Einsatz. Achtung: Als Klassiker der visuellen Kommunikation sind sie lizenzpflichtig (siehe Pictogramm.de) und die Rechte müssen käuflich erworben werden!
Die Rotis
Eine Streitschrift – keine Frage. Otl Aichers Ziel: eine Renaissance Antiqua mit einer Grotesk zu paaren. Eine Mischung, die in ihren Einzelteilen geradezu explosiv ist. Gelungen oder nicht, das überlasse ich einem jeden Gestalter selbst. Doch man sei gewarnt, Laien sollten lieber die Hände von ihr lassen. Alles, was unter “Leberwurstverpackung” läuft, geht mit dem Haltbarkeitsdatum derselben einher.
Das Designbüro Baumann & Baumann hat sich ausgiebig mit dem Einsatz der Rotis beschäftigt und einige sehr gut gestaltete Anwendungen der Schrift hinterlassen. Kurz: Sie wissen, was sie tun.
Sein Erbe
Gerade heute wird Otl Aicher wieder vermehrt von Designern zitiert:
die qualität der entwürfe ist die qualität der welt.
Dieses Zitat wird gerne im Zusammenhang mit Ecodesign, Sustainablility oder Green responsibility angebracht. Der Sinn der Aussage erschließt sich erst im Zusammenhang. Hier der vollständige Wortlaut seiner Aussage:
design bezieht sich auf den kulturellen zustand einer epoche, der zeit, der welt. die heutige welt ist definiert durch ihren entwurfszustand. die heutige zivilisation ist eine vom menschen gemachte und also entworfen. die qualität der entwürfe ist die qualität der welt.
Quelle: 2015 wilhelm ernst& sohn, otl aicher, die welt als entwurf
Wobei wir bei der Mutter aller Fragen sind: Welche Aufgabe hat Design heute? Denken und Machen treffen aufeinander. Design schließt die sozialen wie ökologischen Wirkungen mit ein. Sustainable Design verbindet Ästhetik und Ethik miteinander: ganzheitlich, nachhaltig oder besser noch – regenerierend. Das, was Design leisten muss und kann, hat heute einen anderen Stellenwert als zu der Zeit, indem das Zitat entstanden ist. Vielmehr gehen wir davon aus, den Entwurfszustand (die Natur) weiter zu entdecken und von ihr zu lernen. Sie zeigt uns was möglich ist und wo unsere Grenzen sind. Das Gemachte und Entworfene muss mit ihr einhergehen, erst dann können wir eine Verbesserung oder Regeneration herbeiführen. Dazu zähle ich auch die Natur des Menschen und dass, was wir unter User Centered Design verstehen. Verfehlen wir diesen Auftrag, so holt uns die Aussage ein (die qualität der entwürfe ist die qualität der welt). Als Designer stehen wir der Herausforderung gegenüber wirtschaftliche Interessen mit denen der “zukünftigen Qualität unserer Welt” in Einklang zu bringen.
Soweit das Wort zum Sonntag!
Weitere Ressourcen und absolut lesenswert:
Design Tagebuch
In diesem Fachblog gibt es neben den Piktogrammen München 1972 weitere interessante Themen zu entdecken.
Der Gestaltingenieur
Befasst sich mit dem Thema “What is good design” und zeigt viele weitere Beispiele.
Kickstarter
Mark Holt hat in seinem Buch “The visual output of Otl Aicher’s Dept. XI” zusammengetragen.
rotis – eine Streitschrift
Ein Buch zur Volljährigkeit der Rotis von Ralph Burkhard und Christian Hartig.